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Verteidigungsminister Pistorius tief beunruhigt durch mutmaßliches Fehlverhalten in Eliteeinheit der Bundeswehr

30. Dezember 2025

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Die Eliteeinheit der Bundeswehr soll über Jahre hinweg eine Kultur des Fehlverhaltens geduldet haben, darunter Antisemitismus, sexuelle Übergriffe und gewalttätige Rituale.

Eine hochrangige deutsche Fallschirmjägerregiment soll Berichten zufolge wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe, Antisemitismus, rechtsextremistischer Aktivitäten, gewalttätiger Rituale und Drogenkonsum unter Untersuchung stehen – was Verteidigungsminister Boris Pistorius als „zutiefst beunruhigende“ Vorfälle bezeichnete.

Dutzende Soldaten wurden nach Berichten der deutschen Presse wegen einer breiten Palette mutmaßlicher Verfehlungen untersucht.

Die Kontroverse kam erstmals ans Licht, als zwei Soldatinnen im Juni eine Beschwerde beim Wehrbeauftragten des Bundestages einreichten.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Militärstrafrechtssystem und die Staatsanwaltschaft untersuchen die Angelegenheit nun, mit Fokus auf das 26. Fallschirmjägerregiment in der südwestlichen Stadt Zweibrücken.

Mehrere Soldaten wurden nach der Untersuchung bereits entlassen, und der Regimentskommandeur wurde ersetzt, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Montag.

Interne Dokumente, die der FAZ vorliegen, deuten darauf hin, dass problematisches Verhalten jahrelang geduldet oder intern behandelt wurde. Dazu gehörten die Verwendung rechtsextremer Parolen, antisemitische Beleidigungen, übermäßiger Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch, berichtete die Zeitung.

Soldatinnen berichteten von sexuellen Übergriffen, herabwürdigenden Bemerkungen und einer Kultur, in der Beschwerden als Treuebruch interpretiert wurden. In einigen Kampfeinheiten wurden Frauen Berichten zufolge weniger als Kameradinnen, sondern eher als störende Anwesenheiten gesehen.

Diejenigen, die sich verteidigten, riskierten Ausgrenzung oder Versetzung, während Beschuldigte oft in der Einheit blieben, so die FAZ.

Bestimmte Rituale, die als «Tradition wahren» beschrieben wurden, lösten ebenfalls rechtliche Bedenken aus. Eines betraf das gewaltsame Anbringen des Fallschirmspringer-Abzeichens, wobei jeder Teilnehmer den Stift so lange eindrücken durfte, bis er die Haut durchbohrte und Blut hervorbrach. Soldaten sollen die Praxis ertragen haben, um dazuzugehören, während Ablehnende Belästigungen ausgesetzt waren.

Das Verteidigungsministerium Deutschlands erklärte, dass solche Praktiken „völlig inakzeptabel“ seien und strafbare Handlungen nach dem deutschen Wehrstrafgesetz darstellen.

„Um es ganz klar zu sagen: Rechtsextremismus und unangemessenes sexuelles Verhalten sind die betreffenden Straftaten“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, Kenneth Harms, in einer Erklärung.

„Beides ist in der Bundeswehr nicht akzeptabel, und es ist daher zwingend erforderlich, die Vorfälle gründlich zu untersuchen. Wer Fehlverhalten oder gar Straftaten begangen hat, oder wer als Vorgesetzter weggeschaut oder ein solches Verhalten geduldet hat, wird entsprechend behandelt“, fügte er hinzu.

Pistorius bezeichnet Vorwürfe als „zutiefst beunruhigend“

Pistorius sagte, die Vorwürfe stießen gegen die Kernwerte der Streitkräfte, so die deutsche Nachrichtenagentur dpa.

Es sei inakzeptabel, dass das Fehlverhalten „offenbar nicht sofort erkannt und daher nicht entschieden angegangen wurde. Das darf nicht passieren.“


ARCHIV – Soldaten des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr nehmen an einer Übung in Calw am 5. Februar 2004 teil.


Pistorius lobte den Inspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Dr. Christian Freuding, dafür, dass er rasch gegen weiteres Fehlverhalten vorgehen konnte. Die Maßnahmen würden in einen „Aktionsplan der Luftlandetruppen“ gebündelt und ohne Verzögerung umgesetzt.

Der Verteidigungsminister betonte, dass der Fokus nun darauf liegen müsse, alle Vorfälle vollständig aufzuklären, bestätigte Fälle zu bestrafen und das Vertrauen in die Führung der Einheit wiederherzustellen.

Darüber hinaus betonte der Verteidigungsminister, dass es in den deutschen Streitkräften keinen Platz für Extremismus, sexuellen Missbrauch oder Drogenkonsum gebe, und forderte eine Kultur, in der Fehlverhalten ohne Angst, Einschüchterung oder falsche Loyalität gemeldet werden kann.

Probleme in Eliteeinheiten

Dies ist nicht der erste Skandal, der eine deutsche Militäreinheit trifft.

Ähnliche Probleme traten auch beim Kommando Spezialkräfte (KSK) in der südlich von Calw gelegenen Stadt Calw auf. Ihre Struktur ähnelt der der Fallschirmjäger: kleine, stark abgeschlossene Einheiten, hohe physische und psychische Anforderungen, ein starkes Elitismusgefühl – und eine Kultur, in der Loyalität zur Gruppe oft formellen Regeln Vorrang vorzieht.

Der MAD stellte fest, dass Warnzeichen beim KSK jahrelang ignoriert worden waren. Laut dem Bundestag untersuchte der Dienst zwischen 2017 und 2021 rund 50 Fälle von vermutetem Rechtsextremismus innerhalb der Einheit. Die Untersuchungen führten zu mehreren Entlassungen, Personalversetzungen und zur Auflösung einer Kompanie.

Ein bekannter Fall im Jahr 2020 betraf Philipp S., einen Stabsfeldwebel der zweiten Kompanie des KSK, der zu Hause Waffen, Sprengstoffe und rechtsextreme Literatur hortete. Ermittler beschlagnahmten einen AK-47, etwa zwei Kilogramm Sprengstoffe und weiteres Material.

Gerichte fanden kein politisches Motiv; er wurde ausschließlich wegen Verstoßes gegen Waffengesetze verurteilt und erhielt eine Bewährungsstrafe.

Die zweite Kompanie des KSK wurde gemäß Reformmaßnahmen aufgelöst, nachdem Untersuchungen extreme Tendenzen und eine toxische Führungs-kultur aufgezeigt hatten, so der Abschlussbericht des damaligen Generalinspekteurs Eberhard Zorn.

Jüngste Jahresberichte des MAD zeigen, dass Rechtsextremismus nach wie vor ein drängendes Problem in der Bundeswehr ist. Im Jahr 2024 wurden insgesamt 1.159 mutmaßliche Extremismusfälle untersucht, darunter 216 neu bestätigte Fälle im Zusammenhang mit Rechtsextremismus.

Warum handelt das System so langsam?

Nach Abschnitt 10 des Soldatengesetzes müssen Kommandanten der Bundeswehr extremistische Verhaltensweisen, Straftaten oder schwere Dienstvergehen unverzüglich melden. Kompanie- und Bataillonskommandanten sollen verdächtige Aktivitäten protokollieren, Untersuchungen unterstützen und bei schweren Vorwürfen militärische Disziplinarjuristen oder zivile Staatsanwälte hinzuziehen.

Offiziere und Unteroffiziere sind dafür verantwortlich, voranzugehen, die Soldaten zu beaufsichtigen und das Wohlergehen der Truppe zu wahren. Befehle müssen stets rechtsgültig sein, und das Verhalten außerhalb des Dienstes darf das Vertrauen in die Einheit nicht untergraben.

Dennoch weisen Berichte des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr darauf hin, dass in einigen hochdruckbelasteten Eliteeinheiten Warnzeichen jahrelang ignoriert wurden — oft aus Sorge um Einsatzbereitschaft oder den Ruf der Einheit.

Soldaten, die ihre Pflichten nicht erfüllen, können entlassen, degradiert oder dienstentlassen werden, doch in der Praxis ist das Vorgehen langsam, da klares Nachweis des Führungsversagens erforderlich ist, bevor Maßnahmen ergriffen werden.

Lennart Krüger

Lennart Krüger

Ich bin Lennart Krüger, Redakteur bei S-Bahn Hamburg. Ich schreibe über Stadtleben, Kultur und alles, was Hamburg bewegt – von neuen Projekten bis zu verborgenen Geschichten. Meine Leidenschaft: die Vielfalt dieser Stadt in Worte zu fassen.