Das Magazin der S-Bahn Hamburg

Was wächst denn da? – Pflanzen an Hamburgs Schienen und Bahnhöfen

Unsere Stadt ist grün! Mit 71,4 Prozent Grünfläche ist Hamburg sogar Spitzenreiter in Deutschland. Auch an unseren Schienen und an den Bahnhöfen gibt es besondere und seltene Pflanzen zu sehen. Gemeinsam mit dem Extrembotaniker Jürgen Feder haben wir uns auf Entdeckungstour an Hamburgs S-Bahn-Stationen begeben.

Schmalblättriges Greiskraut, Berufkraut, Purpurroter Storchschnabel, Scharfer Mauerpfeffer, Bruchkraut und Liebesgras – das sind nur einige der vielen Pflanzen, die es an unseren Bahnhöfen und entlang der Gleise zu entdecken gibt. Ohne Hilfe hätten wir diese aber gar nicht erkannt. Um einmal zu sehen, welche grüne Vielfalt in Hamburg und besonders in S-Bahn-Nähe wächst, haben wir uns mit dem Extrembotaniker Jürgen Feder verabredet. Der gelernte Landschaftsgärtner hat sich nämlich genau darauf spezialisiert: Autobahn- und Bahngleis-Pflanzen sind sein Metier. Denn entgegen der meisten Erwartungen, zählen sie zu den artenreichsten Flächen.

„Bahnhöfe sind Wundertüten – man weiß nie, was man dort zu sehen bekommt!“
Jürgen Feder über Pflanzen an Bahnhöfen.

Warum ist das so?

Durch den Zugverkehr sind schon so einige Pflanzenarten zu uns gekommen: Gewächse mit besonders vielen und flugfähigen Samen wurden durch Züge in unser Land getragen. Die Flora an Bahnsteigen und Gleisen mag zudem die Wärme und die stetige Bewegung, die vom Zugverkehr ausgeht. Aber auch wir Menschen tragen zur grünen Vielfalt bei! Denn sobald wir auf Pflanzen treten, bringen wir unter unseren Sohlen die Samen von einem Ort zum anderen.

„Bahnhöfe sind Wundertüten – man weiß nie, was man dort zu sehen bekommt,“ bestätigt uns Jürgen Feder bei unserer Hamburg-Tour begeistert. Und es stimmt! Mit der Hilfe des Experten hat uns die grüne Vielfalt an unseren Stationen überrascht. Eine typische Bahnhofspflanze ist zum Beispiel das Kahle Bruchkraut. Dieses Nelkengewächs ist ganz flach und braucht die Wärme des Schotters und der Steine.

Das Spannende an der heutigen Flora ist der Überlebenswille der Pflanzen: Durch die globale Erwärmung spielt die Natur verrückt und so wachsen neben den Bahngleisen auch mal Hopfen-Pflanzen – das ist eher untypisch, da diese Sumpfpflanzen normalerweise nur in Wassernähe zu finden sind. Obwohl die Schienen oft weit vom erfrischenden Nass entfernt sind, fühlen sich die Pflanzen trotzdem wohl. Sie haben sich sozusagen einen neuen Lebensraum erkämpft.

Entlang der Schienen haben wir außerdem noch weitere seltene Arten gefunden: Zum Beispiel den Nickenden Löwenzahn. Ihr meint, Löwenzahn ist gar nicht so selten? Diese Art schon! Anders als der Löwenzahn, den die meisten von uns kennen, gibt dieser Blütenkopf keinen Milchsaft ab. Zudem kommen die ersten Blüten immer nickend heraus, in der Form eines alten Spazierstocks – daher leitet sich der Name ab. Eigentlich ist auch der Nickende Löwenzahn keine typische Bahnhofspflanze, umso mehr freut sich Jürgen Feder über diesen Fund.

Insgesamt gibt es circa 7.000 wilde Pflanzenarten. Jürgen Feder hat sage und schreibe 4.000 davon in seinem Kopf abgespeichert und erkennt sie in kürzester Zeit. So entdeckt er auch schnell Pflanzen, die auf einer sogenannten Roten Liste stehen. Auf dieser findet man Arten, von denen es nur noch wenige in einem bestimmten Landkreis gibt. Die Feld-Kresse, die wir direkt an einer Treppe am Bahnsteig finden, zählt auch dazu. Diese kleine unscheinbare Pflanze fruchtet im August und braucht normalerweise viel Platz zum Wachsen. Umso erstaunlicher, dass wir sie in einem schmalen Treppenspalt finden. Die Natur bahnt sich eben ihren Weg.

Ein weiteres spannendes Gewächs entlang der Bahngleise ist die Schwarznessel. Das leicht rötliche Gewächs ist eigentlich eine Dorf- und Siedlungspflanze, die Wärme liebt. Bei uns im Norden profitiert sie vor allem von der Elbe. Dadurch, dass die Elbe ein fließendes Gewässer ist, friert sie nicht so schnell zu und hält ihre Wärme länger. Der Fluss hat für die hiesige Flora eine schützende Funktion.

Das Liebesgras ist eine typische Bahnhofspflanze, die ihr sicher schon einmal gesehen habt. Dieses feine Gras, dessen Form kleinen Zigarren ähnelt, ist oft im Bahnhofsbereich zu finden. Wenn es regnet, quellen die Samen auf. Dadurch blieben sie leicht an Schuhen hängen und wandern so von Bahnsteig zu Bahnsteig.

Neben den Gleisen haben wir aber auch eine weitere Lieblingspflanze von Jürgen Feder entdeckt: Der Mäuseschwanz-Federschwingel ist ein Scheinährengras, das im Mai blüht und sich durch seine Hitzebeständigkeit auszeichnet. Feders Liebling ist sie aber aus einem anderen, ganz simplen Grund: Sie trägt seinen Namen.

„Das Spannende in der Natur ist,“ sagt Jürgen Feder, „dass man sieht, dass alle Pflanzen eine Überlebensstrategie haben.“ Denn ein Großteil unserer Flora passt sich ihrer Umgebung an und kann so viele Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte überleben. Trotzdem gibt es immer wieder Pflanzen, die auch Jürgen Feder zum ersten Mal sieht. Genau das treibt den 57-Jährigen an. Er möchte Laien wie uns für die Natur begeistern, denn um diese zu erleben und zu entdecken, müssen wir nur genau hinschauen.

Vielleicht entdeckt ihr bei eurer nächsten S-Bahn-Fahrt nach Stade oder Pinneberg auch so manche seltene Pflanzenart. Haltet eure Augen doch zum Beispiel mal nach einem Silbergras offen. Das Gras hat die Gabe auch auf nährstoffarmen Boden, wie Bahnsteigstein, zu wachsen. Gut zu erkennen ist sie an einem leicht blau-silber-grauen Schimmer. War es früher eher selten zwischen den Platten eines Bahnsteigs zu finden, gehört auch das Silbergras zu einer Pflanzenart, die sich einen neuen Lebensraum geschaffen hat. Und damit noch ein wenig mehr Grün an unsere Stationen bringt.