Das Magazin der S-Bahn Hamburg

Mehr als nur Zug fahren!

Aus dem Arbeitsalltag einer Lokführerin und eines Lokführers

Für viele ist es immer noch ein Kindheitstraum: im Zug ganz vorne sitzen. Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, was die Triebfahrzeugführer:innen, oder kurz Tf, wie es im Bahn-Jargon heißt, außer Zug fahren noch so machen? Wo sie in den Pausen sind? Was sie an ihrem Beruf lieben und was sie stresst? Wir haben uns mit zwei von ihnen unterhalten und interessante Einblicke in ihren Arbeitsalltag erhalten.

Julia und Sebastian sind beide noch in Uniform und kommen direkt von ihrer Schicht. Julias Dienst hat um viertel vor vier Uhr morgens begonnen, trotzdem ist sie um die Mittagszeit noch bemerkenswert fit. Sie findet das gut: früh aufstehen, arbeiten und dann noch den halben Tag vor sich haben. Sie geht früh schlafen und kann sich ihren Tag gut einteilen.

Quereinsteiger und Bahneigengewächse

Julia ist Quereinsteigerin im Job und hat ursprünglich einen Beruf im Gesundheitswesen erlernt. Über ihren Lebensgefährten kam sie auf die Idee, sich bei der Bahn zu bewerben. Nach ihrer Bewerbung bei der S-Bahn wurde sie direkt eingeladen, und nach Einstellungs- und Gesundheitstest hatte sie den Ausbildungsplatz sicher.

„Als Quereinsteiger:in kann sich jeder bei der S-Bahn bewerben, der eine abgeschlossene Berufsausbildung hat“, sagt Julia. „Dabei spielt die Art der Ausbildung oder der Bereich keine Rolle“. Im Auswahlverfahren spielen verschiedene Kriterien wie Seh- und Hörvermögen, Reaktionsschnelligkeit und psychische Belastbarkeit eine Rolle und entscheiden darüber, ob jemand für die Ausbildung geeignet ist. Hier müssen alle durch, egal ob Quereinsteiger oder Bahneigengewächs.

Sebastian ist solch ein Bahneigengewächs, er hat Eisenbahn von der Pike auf gelernt, wie er selbst sagt. „Bei uns in der Familie liegt die Eisenbahn im Blut“, lacht er. Bei ihm war noch ein technischer Beruf vorgeschrieben, daher hat er zunächst Mechatroniker gelernt und wurde dann zur Ausbildung zum Lokführer zugelassen. Er ist nicht nur Triebfahrzeugführer, sondern auch Fahrausbilder und begleitet Frischlinge während ihrer Ausbildung auf ihren Fahrten.

Was lernt man?

Die Grundausbildung im Bahn-eigenen Ausbildungszentrum dauert acht Monate. „Danach geht´s auf den Bock“, sagt Sebastian. So nennen die Triebfahrzeugführer:innen ihren Führerstand. Bis dahin ist die Ausbildung EU-weit gleich, erst dann spezialisiert man sich je nach Verkehrsunternehmen. Bei der S-Bahn sind das die verschiedenen Baureihen 474, 490 und seit neuestem auch der digitale Zug. Dazu kommen Signaltechnik und Streckenführung. Bis man auf den Bock darf, sind mehrere Prüfungen in Theorie und Praxis zu absolvieren. Da heißt es viel auswendig lernen!

Wenn alles erfolgreich bestanden wurde, gibt es den Führerschein und eine Zusatzbescheinigung. Auf letzterer stehen alle Baureihen und Signale, die der Tf fahren darf. Der Führerschein gehört wie ein Auto- oder Motorradführerschein dem Fahrenden selbst, die Zusatzbescheinigung stellt der Arbeitgeber aus. Jeder Tf muss zum Erhalt der Qualifikation mindestens 100 Stunden im Jahr fahren und an unterschiedlichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, sonst verliert die Zusatzbescheinigung ihre Gültigkeit und wird vom Arbeitgeber wieder eingezogen.

Das kann zum Beispiel passieren, wenn sich im Laufe der Zeit medizinische Einschränkungen ergeben, etwa chronische Krankheiten, die man während der Arbeit nicht gut kontrollieren kann. „Das macht auf jeden Fall was mit einem“, sagen beide übereinstimmend. „Wir Tf verdienen Geld, indem wir fahren“, sagt Sebastian. Nicht nur, dass die Betroffenen dann nicht mehr fahren dürfen, sie haben auch deutliche finanzielle Einbußen. Das kann ganz schön aufs Gemüt gehen.

Wie sieht denn nun so ein Tag aus?

Einige, die fest in ihrer Meldestelle fahren, erhalten einen Jahresplan mit allen Schichten und allen Urlaubs- und Ruhetagen. Andere fahren in Disposition, diese bekommen ihre Schichten in einem Monatsplan. Trotzdem ist immer eine gewisse Flexibilität vorhanden. Über die Leitstelle, die die Tagesplanung macht, kann man Schichten tauschen.

Die Tf haben eine sogenannte Jahresarbeitszeit, die Zeit also, die sie über das Jahr verteilt fahren müssen. Sie haben mal eine 6-Tage-Woche, mal vier Tage hintereinander frei. Feste, regelmäßige Zeiten innerhalb der Schichten gibt es nicht. Fahrbetrieb ist von vier Uhr morgens bis 1:30 Uhr nachts und am Wochenende rund um die Uhr, in der Zeit gibt es verschiedene Schichten, die abdecken, dass die S-Bahn fährt. Flexibilität heißt das Zauberwort!

Und wo geht Ihr auf Toilette?

An Knoten- und Wechselpunkten, also dort, wo S-Bahnen eingesetzt und abgestellt werden und an einigen Punkten auf der Strecke, gibt es Pausen- und Aufenthaltsräume. Laut Sebastian kann man das auch trainieren, dass man auf der Strecke während der Fahrt nicht muss. „Oder man trinkt nicht so viel“, sagt Julia und grinst. Ansonsten weiß man ja, wie lange seine Strecke ist, und stellt sich drauf ein. Der nächste Pausenraum kommt bestimmt.

Alles andere als ein Nine-to-five-Job!

Jeder Tf ist zudem für „seinen“ Zug verantwortlich. Er oder sie prüft bei Dienstantritt, ob der Zug fahrtüchtig ist, und schickt ihn abends aufs Abstellgleis, nicht ohne ihm seine Aufgaben für die Nacht mitgegeben zu haben. Der Zug muss nämlich arbeiten, sprich, er durchläuft in seiner Ruhephase verschiedene elektronische Prüfungen. Der Tf trägt dafür Sorge, dass die Fahrgäste sicher und heil an ihr Ziel kommen. Und dafür muss die Technik stimmen!

Was für eine Sozialkompetenz brauche ich als Tf?

Allen voran ist eine hohe Flexibilität und Stresskompetenz nötig. Das Schichtsystem ist komplex und man muss sich auf die verschiedensten Situationen schnellstmöglich einstellen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen können. Großer Spaß am Umgang mit Menschen und ein großes Verantwortungsbewusstsein den Fahrgästen gegenüber sind zwingend erforderlich, denn besonders bei Störungen ist der Tf der erste Ansprechpartner. Jeder Fahrgast hat das Recht, mitgenommen zu werden, und wenn es länger dauert, etwa wenn ein Rollstuhlfahrer einsteigen will, dann muss alles andere zurückstehen.

Bei Störungen spannen Julia und Sebastian durchaus ihre Fahrgäste mit ein. Schließlich sitzen sie alle im selben Zug und wollen pünktlich ans Ziel. Wenn jemand zum Beispiel eine Tür blockiert und der Zug dadurch nicht abfahren kann, sind sie auf die Mithilfe der Fahrgäste angewiesen. Sebastian ernennt gerne auch schon einmal Türbeauftragte, die dafür Sorge zu tragen haben, dass die Türen frei bleiben. Das ist besonders beim Fußballverkehr oder in der Hauptverkehrszeit hilfreich, wenn es besonders voll wird und alle noch mitwollen. Wenn ein defekter Zug getauscht werden muss, warnt Julia ihre Fahrgäste rechtzeitig vor, dass am nächsten Bahnsteig der Zug gewechselt werden muss. So geht alles schneller und reibungsloser vonstatten. Echte Teamarbeit!

Mögt Ihr Euren Job?

Julia und Sebastian bringt ihr Job viel Spaß und sie wollen ihre Fahrgäste pünktlich ans Ziel bringen. „Es ist ärgerlich, wenn Leute Türen aufhalten und sich dann beschweren, dass der Zug unpünktlich ist“, sagen sie. Durch das gestiegene Fahrgastaufkommen schafft man es kaum noch, pünktlich zu sein. Und wenn ein Zug eine Verspätung hat, fahren die Folgezüge natürlich ebenfalls mit Verspätung. Schade findet Sebastian, dass dann oft böse und genervte Blicke oder sogar Beleidigungen kommen und dem Tf die Schuld gegeben wird. Als Tf hat man durchaus den Anspruch pünktlich sein zu wollen, hat es aber meist nicht selbst in der Hand.

„Man erlebt so einiges“, sagt Julia. Einmal blieb ihr fast das Herz stehen, als sie ihren Zug in die Station steuerte und ein Kind auf einem Laufrad immer näher an die Bahnsteigkante gefahren kam. Sie wusste, sie würde den Zug nicht mehr rechtzeitig stoppen können. Zum Glück blickte der Vater sich um und riss sein Kind zurück. Da kriegt man Gänsehaut!

Es gibt aber auch sehr viele schöne Erlebnisse. Julia freute es ungemein, als ein kleines Mädchen, das sie vom Bahnsteig aus in ihrem Führerstand sitzen sah, zu ihrer Mutter sagte: „Mama, guck mal, da fährt eine Frau“! Julia macht es einfach Spaß zu fahren und sie liebt das Fahrgefühl vorne im Führerstand. Sebastian freut sich, wenn er als Fahrtrainer seine Schützlinge erfolgreich durch die Prüfung bringt. Es gibt bei allem Stress und Hektik auch immer Fahrgäste, die ihre Arbeit wertschätzen und es zu würdigen wissen, dass man in Hamburg und Umgebung so ein gutes ÖPNV-Netz hat und dass die Männer und Frauen vorne auf dem Bock jeden Tag ihren Job machen.