Das Magazin der S-Bahn Hamburg

Das neue S-Bahn-Netz: Wer hat es erfunden?

Am 10. Dezember kommt unser neues Liniennetz – pünktlich zum Fahrplanwechsel. Was sich bei den einzelnen Linien ändert und wie die neue S5 fährt, haben wir Euch schon vorgestellt (Links zu allen Artikeln findet Ihr am Ende dieses Beitrags). Aber wer hat sich das eigentlich alles ausgedacht? Wir stellen Euch einen der Menschen vor, der das neue S-Bahn-Netz entwickelt hat: Michael hat das Wort!

Wie alles begann

Michael ist wahrhaftig ein Mitarbeiter der ersten Stunde: Er war der erste Mitarbeiter, der den Stempel der 1997 gegründeten S-Bahn Hamburg unter seinem Arbeitsvertrag hatte. Der studierte Geograph hatte Anfang der 1990er Jahre ein Praktikum bei der - damals noch - Deutschen Bundesbahn gemacht und dort die Menschen kennengelernt, die ihn später zur neu gegründeten S-Bahn holten.

Das erste große Projekt des Teams in der Angebotsplanung war die Flughafen-S-Bahn. Sie hatte zuvor auf Eis gelegen und wurde nun durch neue Köpfe wieder aufs Gleis gebracht. Zweites großes Projekt war dann die Abschaffung der 1. Klasse in den S-Bahnzügen. Dafür trug das Team eine Unmenge an Zahlen zusammen. „Wir wollten darstellen, dass die 1. Klasse einfach nicht mehr zeitgemäß ist“, sagt er.

In den Folgejahren wurden zahlreiche Projekte durch das Team mit auf die Schiene gebracht: Die S-Bahn nach Stade fährt seit 2007, die Flughafen-S-Bahn seit 2008, Kaltenkirchen und Bad Oldesloe werden in den nächsten Jahren hinzukommen. Und für die S-Bahn zum Osdorfer Born soll schon bald die Vorplanung beginnen.

Die erste Skizze zum neuen Liniennetz

Die Anfänge des neuen Liniennetzes reichen bis ins Jahr 2009 zurück. Schon damals gab es Überlegungen, wie man das bestehende Netz optimieren und wie eine neue Linienführung im Innenstadtbereich aussehen könnte. Hierfür wurde ein Konzept entwickelt, das aber dann wieder in der Schublade verschwand, weil andere Projekte zu dem Zeitpunkt wichtiger waren und man den Fahrgästen nicht komplett neue Linienwege zumuten wollte.

„Das Konzept habe ich dann im April 2020 wieder aus der Schublade geholt, als verschiedene Menschen bei der S-Bahn festgestellt hatten, dass das bestehende System nicht mehr gut genug funktioniert“, sagt Michael. „Die Fahrgastzahlen stiegen und unser Netz konnte dem nicht mehr gerecht werden.“

Er hat sich sprichwörtlich aufgemalt, was an neuen Linienwegen möglich ist und was geändert werden müsste. „Das war zu Anfang wirklich noch sehr rudimentär“, sinniert er. Aus den Überlegungen entstand ein erster Entwurf. Eine Arbeitsgruppe mit Sachverstand aus mehreren Abteilungen wurde gebildet, die diesen Entwurf auf Herz und Nieren prüfte.

Überhaupt ist ihm sehr wichtig, dass er nicht allein der Macher ist, sondern dass das neue Netz in Teamarbeit nach und nach durch mühevolle Recherche und nach etlichen Prüfungen der Machbarkeit entstanden ist.

Wie seid Ihr vorgegangen?

Grundansatz war, dass die Zuverlässigkeit der bestehenden Linien zur Herausforderung wurde. Wenn es in der Perspektive 2030 zusätzliche Linien aufnehmen soll, muss das Netz vereinfacht und stabiler gemacht werden.

„Es ist anfangs erst einmal eine rechnerische Sache“, sagt Michael. In Führerständen bei den Triebfahrzeugführer:innen und im S-Bahn-Wagen bei voller Fahrgastzahl wurden Halte- und Fahrzeiten neu gemessen und ins bestehende wie ins neue Liniennetz übertragen.

Fahrzeugzahl sowie Infrastruktur (Schienennetz, Stationen) sollten im ersten Schritt unverändert bleiben. Das Team identifizierte Störfaktoren, so zum Beispiel in Neugraben, wo mehrere mögliche Verspätungsquellen zusammenkommen, weil hier der Übergang zum sogenannten Mischkehr mit Regional- und Güterverkehr vollzogen wird und sowohl gekuppelt als auch gewendet wird. 

Wie entstehen Verspätungen in Neugraben und auf der Fahrt in die City?

„Das ist vielschichtig“, sagt Michael. „Es kann passieren, dass Züge aus Stade zu spät in Neugraben ankommen. Das kann aus der Verspätung eines vorausfahrenden Zuges, aber auch aus Störungen der Bahnübergänge entstehen. Soll der Zug jetzt vom Voll- zum Langzug (von 6 Wagen auf 9 Wagen verstärkt, Anm. der Red.) werden, braucht es jedoch zwei Minuten“.

Zeit, die dann durch die Verspätung bereits verbraucht ist. „Nun hat man zwei Optionen: Entweder der Zug fährt eben nicht als Langzug weiter, ist noch pünktlich, aber zu kurz, um die Fahrgäste an den folgenden Stationen in den vorhandenen Haltezeiten aufzunehmen. Oder er fährt als Langzug weiter, dann aber schon mit Verspätung.“

Bei beiden Optionen gibt es Herausforderungen: Bei Variante 1 ist der Zug für die Anzahl der Fahrgäste eventuell zu kurz, was mehr Zeit in Anspruch nimmt. Bei Variante 2 warten – aufgrund der Verspätung – mehr Menschen am Bahnsteig, die einsteigen wollen, was ebenfalls mehr Zeit als geplant kostet. Dies kann dazu führen, dass sich am Hauptbahnhof Linien verspäten.

Die Lösung

Im neuen Liniennetz sind die Haltezeiten häufig länger, auf dem Neugrabener Ast zum Beispiel um gut eine Minute. Das ist richtig viel, denn Haltezeiten werden in Zehntelsekunden gemessen. Auf vier von fünf Strecken wurden vor und hinter dem Innenstadtbereich Puffer von je einer halben Minute eingebaut. Und es wird eben nahezu nicht mehr gekuppelt, bisher vorhandene Zeiten dafür anders verteilt. „Wir erwarten, dass die neue S3 zuverlässiger ist“, sagt Michael.

Der Bahnhof Altona 

Der Bahnhof Altona hingegen lag schon länger im Fokus des Planerteams. Die S11 benötigt mit ihren Ein- und Ausfahrten viel Zeit und Infrastruktur auf der Nordseite der Station. Außerdem funktioniert der Anschluss zwischen der S1 und der S31 über längere Zeiten des Tages nicht mehr zuverlässig. 

Die S31 fährt aus Richtung Hauptbahnhof immer hinter der S21 her und das kann zu Verzögerungen führen“, sagt Michael. „Um das auszumerzen, haben wir einen Linientausch zwischen den Linien der Verbindungsbahn vorgenommen. Mit dem Linientausch werden sich die Anschlüsse am Hauptbahnhof und Altona deutlich entspannen.“ Die Verbindungsbahn ist die Strecke, die über Dammtor fährt, also „obenrum“, im Unterschied zum unterirdischen Citytunnel.

Knotenpunkt Hauptbahnhof

Um die potentiellen Anschlüsse zum U-Bahn-Netz vor allem im Innenstadtbereich zu erhalten, wurde im neuen Netz der Hauptbahnhof als Ankerpunkt definiert. „Vom Hauptbahnhof ausgehend“, so Michael, „haben wir die Haltezeiten nach außen hin verlängert, wo es nötig war“.

Im Innenstadtbereich wurden die Zeiten ebenfalls leicht erhöht. Dabei musste man beachten, dass nicht jede Station gleich bewertet wird. Am Jungfernstieg steigen die Fahrgäste eher tagsüber häufiger ein und aus als an der Station Reeperbahn, wo zumindest an den Wochenenden nachts mehr los ist.

„Man kann nicht alles abbilden“, betont Michael. „Die Fahrpläne sind an den vollsten Zügen ausgerichtet, wir rechnen also mit den Spitzen zu Hauptverkehrszeiten“. Wenn aber in allen Arenen in Stellingen Veranstaltungen sind, unvorhergesehene Ereignisse oder Infrastrukturstörungen auftreten, hat auch das neue System Grenzen und kann Verspätungen nicht mehr ausgleichen.

Warum jetzt einstellige Liniennummern?

„Die Idee der einstelligen Linien gab es schon 2009“, meint Michael. „Das ist zum einen eine Marketingfrage, zum anderen wurde im Zusammenhang mit dem neuen Liniennetz geprüft, ob die bisherigen Liniennummern für die Fahrgäste logisch sind.“ Fazit: Die meisten von Euch fanden es nicht logisch. „Mit der Einstelligkeit machen wir vieles einfacher und übersichtlicher“, freut er sich.

Fit für die Zukunft

Das neue Netz, wie es am 10. Dezember eingeführt wird, ist nicht das Ende der Fahnenstange. Im nächsten Schritt ist die Erweiterung der S5 bis Kaltenkirchen vorgesehen. Fest mit eingeplant sind zudem die S4, an der bereits fleißig gebaut wird, und die S6 als dritte Linie zwischen Elbgaustraße und Neugraben zu den Hauptverkehrszeiten.

Das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Für Michael und das Planungsteam läuft das Projekt ebenso weiter wie seine anderen, und es kommen immer neue hinzu. Als Angebotsplaner verhandelt er dann immer wieder aufs Neue über den Fahrplan. „Das ist der natürliche Verlauf dieser Projekte“, erklärt er.

Mit der Einführung des neuen Netzes am 10. Dezember ist also noch lange nicht Schluss. Es birgt Potential für Erweiterungen und damit weitere Verbesserungen in unserem S-Bahn-Netz für Euch, unsere Fahrgäste.

Alles zu unserem neuen S-Bahn-Netz auf einen Blick:

Kurz und Knapp: Unser neues S-Bahn-Netz

S1 – Bleibt ganz die Alte

S2 – Kommt ans Tageslicht

S3 – Mehr Platz für Hamburgs Süden

S5 - Niedersachsen ist am Zug